Archiv der Kategorie: Allgemein

Der Circle von Dave Eggers

Der Roman Der Circle von Dave Eggers handelt vom Leben einer Angestellten des Technologiekonzern Circle, welcher das Resultat einer Fusion von Google, Facebook, Apple und Twitter ist. Die anfängliche Begeisterung der Protagonistin Mae für die Atmosphäre und Vision des Unternehmens schlägt nach einiger Zeit um, als die vermeintlich der Unternehmensvision zuträglichen Eingriffe in die Privatsphäre der Mitarbeiter und Kunden zunehmen.

Im Fokus des Romans Der Circle steht die 24 Jahre alte Mae Holland. Sie hat gerade ihr Studium abgeschlossen und wurde von ihrer Freundin Annie beim Circle vorgeschlagen. Dort beginnt sie ihre Tätigkeit in der Customer Experience Abteilung, wo sie Anrufe und Nachrichten von Kunden des Circle bearbeitet. Die erstklassige Ausstattung der Büros, die zahlreichen Annehmlichkeiten für Angestellte von Fitnessstudios, Wellness-Bereichen bis hin zu Schlafplätzen motivieren Mae stark, so dass sie mit viel Begeisterung versucht, beruflich Akzente zu setzen.

Gleichzeitig zeigen sich erste Konflikte, da Mae zu Beginn ihrer Tätigkeit die Nutzung der sozialen Netzwerke des Circle vernachlässigt. Der ständige Austausch von Informationen, Erfahrungen und Bilder beläuft sich nicht mehr nur auf das Posten von Urlaubsfotos, sondern ist die erste Bürgerpflicht für Mitarbeiter des Circle. Abendliche Ausflüge sollen als offene Events gepostet werden. Sportliche Aktivitäten wie das Kajakfahren, welchem Mae als Ausgleich zur Arbeit nachgeht, sollten nicht verborgen werden, um interessierte Kollegen nicht davon auszuschliessen. Trotz der wiederholten Tadel lässt sich Mae auf die Vision des Circle ein und verfolgt ihre beruflichen Ziele ehrgeizig. In starkem Kontrast dazu steht die Affäre mit dem mysteriösen Kalden, einem Mitarbeiter des Circle, welchem sie gelegentlich auf dem Campus des Circle begegnet. Kalden hat ein umfangreiches Wissen über die Aktivitäten des Circle und scheint trotz seiner Präsenz auf dem Campus keine digitale Identität zu besitzen.

Mit der Zeit wird die Vision des Circle immer radikaler: Politiker sollen sich im Wahlkampf rund um die Uhr videoüberwachsen lassen; Maes an MS erkrankter Vater soll sich im Austausch für die Finanzierung seiner Arzneimittel rund um die Uhr vom Circle filmen lassen und Mae trägt kontinuierlich eine Kamera und ein Headset, um ihr Leben öffentlich im Internet zu leben. Die Einwände von alten Freunden und ihrer Familie prallen an Mae ab, da sie erst im Laufe des Romans deren Konsequenzen realisiert.

Fazit zu Der Circle

Der Roman ist undurchsichtig und von Anfang an faszinierend. Die zahlreichen Wendungen auf den letzten 50 Seiten sind unerwartet, schnell und machen insbesondere den Schluss zu einem der stärksten Teile des Buches. Der Circle hat das Potential, George Orwells 1984 des 21. Jahrhunderts zu werden. Einige Elemente des Romans sind aus technischer Sicht nicht mehr weit von der Realität entfernt. Ich kann dieses Buch uneingeschränkt empfehlen: es ist ein hervorragender Roman, der sich nicht etwa durch Technik- oder Fortschrittsfeindlichkeit auszeichnet, sondern durch ein pointiertes Spiel mit den technischen Möglichkeiten, die uns bereits heute zur Verfügung stehen.

Im Jahr 2017 kam Dave Eggers Roman Der Circle auch ins Kino. Die Dreharbeiten mit Tom Hanks und Emma Watson starteten im Herbst 2015 in Los Angeles.

Ferdinand von Schirach – Die Würde ist antastbar: Essays

Mit Die Würde ist antastbar: Essays veröffentlicht der Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach nach zwei Bänden mit Kurzgeschichten und zwei Romanen eine Sammlung, welche aus 13 Essays zu unterschiedlichen Themen besteht. In diesem Buch setzt sich von Schirach mit den ethischen Fragestellungen zu aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen wie einem Rauchverbot, der Ermordung Osama bin Ladens oder der Vorratsdatenspeicherung auseinander.

Das erste Essay trägt die Überschrift des Buchtitels: Der Autor diskutiert – ausgehend von der Ermordung Osama bin Ladens und darauf folgenden positiven Reaktionen u.a. von der deutschen Bundeskanzlerin – völkerrechtliche Regelungen, die einst gegen das Bedürfnis nach Rache errichtet wurden und in bestimmten Situationen dennoch bewusst umgangen werden. Im Verlauf des Kapitels zieht von Schirach einen treffenden Vergleich zwischen Menschenrechten und Freundschaft: Beide „taugen nichts“, wenn sie sich nicht auch und gerade in den schwierigen und dunklen Tagen bewähren.

Im Essay Weil wir nicht anders können schildert von Schirach das Autorenleben und führt aus, warum Autoren ihre Bücher nicht selbst vermarkten sollten und welche Bedeutung dem Verleger im Entstehungsprozess eines Buches zukommt. Er tritt für eine strikte Arbeitsteilung zwischen Schriftsteller und Verlag ein und schildert dies anschaulich anhand der Entstehungsprozesse seiner bisherigen Bücher. Leider zeigt der Autor im Kapitel Die Kunst des Weglassens eine gewisse Technologieskepsis. Das Kapitel wirkt zum Erscheinungstermin des Buches völlig veraltet: So philosophiert von Schirach über das „iPad [..] das neue Gerät des Soft- und Hardware-Herstellers Apple“. Dieses Kapitel passt leider gar nicht zu den übrigen reflektierten Kapiteln dieses Buches. Im Essay Reine Menschen, reine Luft über Raucher und Nichtraucher erfährt der Leser, dass das Rauchen im dritten Reich verpönt war und Anti-Raucher Zeitschriften wie „Reine Luft“ oder „Die Tabakfrage“ verlegt wurden, da der Tabakkonsum dem „hygienisch sauberen Deutschen“ entgegenstand.

Dieses Buch ist lesenswert, jedoch anders als frühere Werke von Ferdinand von Schirach. Die eigenständigen Essays sind in wenigen Minuten gelesen, können jedoch ganze Abende diskutiert werden. Dieses Buch ist nicht übermäßig unterhaltsam und kann dennoch der Grund für angeregte Unterhaltungen sein. Die angesprochenen Themen sind mit Sicherheit nicht nur für Juristen interessant, sondern auch für jeden am Zeitgeschehen interessierten Bürger.

Haruki Murakami – 1Q84

Bild der Stadt Tokio aus 1Q84Dieser Beitrag befasst sich mit einem der neueren Werke von Haruki Murakami, 1Q84 (Buch 1 und 2). Nach Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt ist dies das zweite Werk des japanischen Schriftstellers in meinem Bücherregal. Mittlerweile ist ein dritter Teil erschienen, wobei sich diese Rezension auf die beiden ersten Teile bezieht.

Inhalt

In 1Q84 präsentiert Murakami zwei Hauptcharaktere, die abwechselnd die Kapitel aus ihrer Perspektive erzählen.
Aomane ist eine ehemalige Leistungssportlerin und Physiotherapeutin, die gelegentlich für eine wohlhabende alte Dame aus ihrem Kundenkreis unauffällige Auftragsmorde erledigt. Dabei benutzt Aomane einen dünnen Pickel, welcher keine äußeren Spuren an den Opfern hinterlässt. Die Morde geschehen zur Bestrafung von Männern, die Frauen missbraucht, ausgenutzt oder anderweitig gedemütigt haben. Dieses Motiv ist in Einklang mit Aomane’s persönlicher Lebensgeschichte, die indirekt auch von derartigen Misshandlungen geprägt ist.
Tengo ist wie Aomane Ende 20 und verdient sein Geld mit Mathematikunterricht an einer privaten Lehranstalt. Er wird als sehr analytischer Mensch beschrieben und ist sowohl strukturiert als auch genügsam in seinem alltäglichen Handeln. Seine wahre Passion gilt jedoch dem Schreiben, wenn dies auch bisher nicht von Erfolg gekrönt war. Die Veröffentlichung seines ersten eigenen Werkes ist noch nicht abgeschlossen, als ein Freund aus der Literaturbranche ihn um einen Gefallen bittet. Die 17-jährige Schülerin Fukaeri hat einen spannenden Roman geschrieben, der in eine saubere Schriftform gebracht werden muss. Nach langem Zögern willigt Tengo in diesen Auftrag ein und trägt somit zur erfolgreichen Veröffentlichung von “Die Puppe aus Luft” bei.

Zentrales Thema des Romans ist der Einfluss des mysteriösen Mädchens Fukaeri (dessen Rolle für die Handlung des Buches sich erst nach und nach offenbart) auf das Leben von Tengo und Aomane. Die voneinander unabhängigen Handlungen der beiden Charaktere führen diese unbemerkt in die selbe Richtung und konfrontieren sie Schritt für Schritt mit Personen und Erzählungen, die miteinander in Zusammenhang stehen. Tengo und Aomane beschützen Fukaeri vor einer finsteren Sekte, in welcher Fukaeris Eltern leben und wo sie aufgewachsen ist. Im Fokus der gegnerischen Seite steht der Leader der Sekte, welcher dort göttlichen Status genießt und übersinnliche Kräfte haben soll.

Im späteren Verlauf des Buches 1Q84 realisieren Tengo und Aomane zwei Dinge:
– einerseits sind sie sich bereits in der Grundschule einmal kurz begegnet und jeder der beiden stellt eine alte nostalgische Phantasie für den anderen da
– andererseits sind beide zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine Parallelwelt geraten, die sich nur minimal von der realen Welt unterscheidet und anstatt 1984 mit 1Q84 bezeichnet wird, wobei das Q die japanische 9 repräsentieren soll.

Wertung von 1Q84

Murakami’s Roman 1Q84 (Teil 1&2) geht über 1000 Seiten und stellt damit sogar für ihn ein eher dickeres Werk dar. Da es wenig Sinn macht die Teile zu trennen werden sie an dieser Stelle nur gemeinsam bewertet. Jeder sollte für sich selbst wissen ob er ein derart langes Werk bewerkstelligen will. Wer sich auf die epischen Schilderungen der Personen einlässt wird mit subtilen, aber großartigen Charakteren belohnt, die die gelegentliche Langatmigkeit der spannenden Geschichte ausreichend kompensieren und das Buch zu einem empfehlenswerten Gesamtwerk machen.

Murakami’s 1Q84 ist im September 2012 im btb Verlag erschienen. Es umfasst Teil 1&2 und wurde mittlerweile durch einen 3. Teil ergänzt.

Link: Der Feuilleton der FAZ zu 1Q84

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Nassim N. Taleb – Antifragilität

Nassim N. Taleb’s neuestes Werk Antifragilität dreht sich um den von ihm kreierten Begriff Antifragilität. Vor Beginn der Lektüre musste ich mich wiederholt vor mir selbst rechtfertigen, warum ich mir diesen Schmerz zumute, ein ganzes Buch zu lesen, das sich ausschließlich um einen einzigen Begriff dreht. Gedanken wie „die längste Definition der Welt“ schossen mir kurzzeitig durch den Kopf, wurden jedoch schnell wieder von mir verworfen.

Ich wurde auf Taleb durch die Lektüre eines Blogposts von Malcolm Gladwell aufmerksam. Gladwell ist eher ein ziemlich selbstverliebter Wichtigtuer, der meiner Ansicht nach gnadenlos überschätzt wird. Fairerweise muss ich zugeben dass ich nur zahlreiche Blogposts von ihm kenne und kein ganzes Werk von ihm gelesen habe. Die Blogposts sind jedoch einzelne Kapitel seiner Werke. Taleb ist auch in einer Art und Weise von sich überzeugt, die den ein oder anderen Leser durchaus abstoßen könnte. Dennoch sind seine Ansichten und Theorien wesentlich profunder als dies bei Gladwell der Fall ist.

Inhalt

Antifragilität ist die Eigenschaft eines Systems, von zufälligen Ereignissen zu profitieren. Ein fragiles System kann unter Zufallsereignissen (z.B. die Finanzmarktkrise) komplett zerstört werden, während ein antifragiles System (ein Finanzmarkt mit vielen kleinen Banken) nicht so anfällig für derartige Totalzerstörungen ist.

Taleb bringt viele Beispiele aus dem Alltag, was für mich eines der stärksten Kaufargumente für dieses Buch ist. Exemplarisch ist folgende Geschichte: Zwei Zwillingsbrüder leben in London, Bruder 1 arbeitet als Sachbearbeiter in einer großen Versicherung, Bruder 2 fährt Taxi. Bruder 1 hat jeden Monat sein festes Einkommen, während Bruder 2 bei Großereignissen gut verdient, jedoch auch gelegentlich einen Abend hat an dem er nur sein Essen verdient. Auf das Jahr gerechnet verdienen die beiden Brüder etwa das Gleiche. Man könnte – insbesondere in Deutschland – davon ausgehen, dass man dem Job von Bruder 1 den Vorzug geben sollte. Die Volatilität auf den Tag bezogen ist bei Bruder 2 sicher höher, er hat auf den Tag bezogen ein wesentlich unsichereres Einkommen. Auf das Jahr bezogen sind die Einkommen von Bruder 1 und Bruder 2 so gut wie gleich. In einer Wirtschaftskrise ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass der Job von Bruder 1 wegrationalisiert wird, als das eine elementare Dienstleistung des Alltags wie Taxifahren verschwindet. Das Faszinosum aus Sicht Talebs ist, dass sich Bruder 1 wie ein Truthahn im November (vor Thanksgiving) fühlt. Viele Jahre lang vertraut er dem Bauern, bei dem er gehalten wird. Am Anfang ist er noch kritisch, aber mit der Zeit merkt er dass ihm dieser Mensch ein Dach über dem Kopf gibt, ihn täglich füttert und vieles mehr. Er wird sich zu keinem Zeitpunkt seines Lebens sicherer fühlen als am Tag vor seiner Schlachtung. So ähnlich wird es Bruder 1 ergehen.

Weitere interessante Aspekte des Buches sind die Betonung der Vorteile von kleinen dezentralen Organisationseinheiten, wobei sich Taleb in Antifragilität häufig auf die Schweiz bezieht. Außerdem ist er für die Einführung eines Entrepreneur-Feiertages, an dem gescheiterte Entrepreneure gefeiert werden, da sie zur Antifragilität des wirtschaftlichen Systems beitragen und aufzeigen, in welchen Bereichen wirtschaftliche Aktivität unattraktiv ist, und damit zum Wohl des gesamtwirtschaftlichen Systems beitragen.

Mein Fazit zu Antifragilität

Ich kann dieses Buch empfehlen, wenn man interessiert ist, die Welt aus einer ungewohnten neuen Perspektive zu beleuchten. Ich kann jetzt einige persönliche Ansichten, die ich mir schon vor längerer Zeit zu Eigen gemacht habe, vernünftig anhand des Konzeptes der Antifragilität begründen und habe deshalb zweifellos von der Lektüre profitiert.

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Julia Friedrichs – Gestatten: Elite: Auf den Spuren der Mächtigen von morgen

Julia Friedrich ist eine junge Journalistin und macht sich bei ihrer Erkundungstour durch Deutschland auf die Suche nach der Bedeutung des Wortes Elite. Dieses schmückt immer häufiger einzelne Bildungsinstitutionen. Langsam erhält es  im Sprachgebrauch trotz vielfacher öffentlicher Kritik wieder Einzug.

Julia Friedrichs besucht auf ihrer Reise private Schulen wie Schloss Salem, private Hochschulen wie die European Business School in Oestrich-Winkel und Elite-Programme wie die „Stiftung im Münchener Maximilianeum“. Darüber hinaus besucht sie auch kleinere Institutionen. Lernangebote in Englisch für 3-Jährige oder ATTAC, Letztere unter dem Gesichtspunkt der Elitebildung in einer Organisation, welche elitäre Strukturen aus sich selbst heraus ablehnt.

Inhalt

Die Autorin schildert Besuche der jeweiligen Institutionen und führt Interviews mit ihren Mitgliedern: Lehrer, Professoren, Teilnehmer und Schüler. Parallel zieht sie stets den Vergleich mit ihrem Leben und ihrem Elternhaus. Julia Friedrichs Buch ist etwas populistisch, aber etwas anderes darf man nach dem Lesen des Titels auch nicht erwarten. Es enthält keine Hasstiraden und die Autorin versucht stets objektiv zu bleiben, weshalb ihr definitv kein übertriebener Populismus vorgeworfen werden kann.

Fazit

Die Schilderungen von Julia Friedrichs sind sehr aufmerksam und ihre Fragen direkt. Sie hat meiner Ansicht nach alle sogenannten Elite-Institutionen in Deutschland besucht und keine wesentlichen Stationen ausgelassen. Dennoch muss ihr der Vorwurf gemacht werden, wenig Neues für den durchschnittlich gebildeten Leser ans Tageslicht zu befördern.

Die generellen Vor- und Nachteile dieser Institutionen sind gemeinhin bekannt und auch die Interviews liefern letztlich wenig Überraschendes. Lediglich einzelne Fakten wie der überdurchschnittlich schlechte Abiturschnitt eines Elite-Internats mögen den Leser kurz beeindrucken.

Die Mehrzahl der Fakten und Charakteristika der Institutionen sind jedoch keine Überraschung. Ich empfehle das Buch jedem an der Thematik interessierten Leser. Es gibt kaum ein vergleichbares Werk zu Gestatten: Elite und allein das rechtfertigt bereits die Lektüre.