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Strafe – Ferdinand von Schirach –

Strafe ist das dritte Werk von Ferdinand von Schirach. In diesem Buch erzählt der Strafverteidiger von ausgewählten Fällen aus seiner Kanzlei. Wie in den beiden Vorgängern und Bestsellern Verbrechen und Schuld besteht dieses Buch aus Kurzgeschichten zu spannenden Kriminalfällen.

Ferdinand von Schirach verteidigt seine Mandanten in Kriminalfällen wie Mord, Drogenhandel und Sexualverbrechen. Dabei ist nicht immer alles so einfach wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Deshalb drängt sich häufig die Frage auf, ob der Täter aus moralischer Sicht ein Mörder ist. Dieser Mörder kann auch das Opfer einer toxischen Beziehung sein und diese durch einen Mord beenden.

Die Hauptfiguren des dritten Buches

In dem Kapitel Seehaus erzählt Ferdinand von Schirach von einem Mann erzählt, welcher mit einer körperlichen Behinderung auf die Welt gekommen ist. Dessen Leben als Außenseiter wird durch seine idyllische Wohnsituation kompensiert. An einem schönen See an einem Ort seiner Kindheit genießt er die Ruhe der Natur. Diese Ruhe wird eines Tages durch unweite Neubauten erheblich gestört. Wie kann ein gesellschaftlicher Außenseiter damit umgehen, sich nicht einmal mehr zuhause wohl zu fühlen?

In Subotnik erzählt Ferdinand von Schirach die Geschichte einer jungen Anwältin mit Migrationshintergrund. Ehrgeizig und erfolgreich verdient sie sich ihre Sporen in einer renommierten Großkanzlei. Wie wird sie jedoch damit umgehen, frauenverachtende Köpfe einer kriminellen Großorganisation verteidigen zu müssen? Was ist eine gerechte Strafe für einen potentiellen Täter in diesem Millieu?

Heimliche Liebschaften, verborgene Fetische und kaputte Existenzen. Ferdinand von Schirach zeigt in Strafe diese Pluralität der Gesellschaft auf. Jedoch ist keiner seiner Fälle wie der Andere. Ein persönliches Schicksal wirkt sich häufig noch über Generationen auf die betroffenen Personen und ihr Umfeld aus.

Fazit zu Strafe

Auch in seinem dritten Werk wird der Autor nie langweilig. Im Gegenteil, die Fälle sind spannend bis zur letzten Seite. Ähnlich zu seinen früheren Werken oder jenen von Josef Wilfling schafft es Ferdinand von Schirach in Strafe, zu keinem Zeitpunkt langweilig zu werden. Deshalb kann ich dieses Buch uneingeschränkt als Lektüre für eine 1,5 bis 2-stündige Zugfahrt empfehlen. Eine Zukunft als Bestseller steht dem dritten Band definitiv bevor.

ISBN Nummer: 978-3630875385

Peter Stamm – Agnes

Der 1998 erschienene Roman Agnes von Peter Stamm beschreibt die Beziehung zwischen dem namenlosen Ich-Erzähler und der wesentlich jüngeren Mathematikerin Agnes. Der Erzähler ist wie Peter Stamm Schweizer, während Agnes US-Amerikanerin ist. Der Roman beschreibt die Entwicklung der Beziehung des Erzählers zu Agnes. Diese ist zunächst durch ein spielerisches Element geprägt. Dieses entwickelt sich im Laufe des Buches zu einer verhängnisvollen Kraft in der Beziehung zu Agnes.

Zusammenfassung von Agnes

Agnes und der Erzähler lernen sich in der öffentlichen Bibliothek der amerikanischen Stadt Chicago kennen. Der Sachbuchautor recherchiert gerade zu einem neuen Buch über amerikanische Eisenbahnen, während die Physikerin Agnes an ihrer Doktorarbeit arbeitet. Langsam und vorsichtig lernen sich die beiden kennen. Das ungleiche Paar – sie ist 25, der Erzähler spricht davon dass er “ihr Vater sein könnte“ – wird in den nächsten Monaten immer vertrauter miteinander. Schließlich zieht es in eine gemeinsame Wohnung. Ein gegenseitiges Necken der beiden führt dazu, dass der Erzähler beginnt, die Geschichte der Beiden niederzuschreiben. Er belässt es jedoch nicht bei der Vergangenheit. Auch für die Zukunft schreibt er nun die Geschichte „vor“.

Im Rahmen einer unerwarteten Schwangerschaft kommt es jedoch zu einem Konflikt und einer vorübergehenden Trennung des ungleichen Paares. Der Autor lernt in dieser Zeit Louise kennen. Diese wäre aus einer rationalen Perspektive eine gute Ergänzung zur Person des Erzählers. Peter Stamm bringt die beiden Hauptcharaktere jedoch wieder zusammen, woraufhin diese auch die Niederschrift ihrer Geschichte weiterführen.

Das Buch im Buch

Die sogenannte metadiegetische Ebene des Buches – die im Buch geschriebene Geschichte von Agnes und dem Erzähler – ist das Hauptthema des Buches. Beide oder der Erzähler stellen sich zukünftige Ereignisse vor. Anschließend schreiben sie diese nieder und erwarten deren Eintritt. Die beiden Hauptcharaktere fühlen sich in gewisser Weise daran gebunden, diese Geschichte in die Realität zu tragen. Dies führt zum tragischen Ende des Buches, welches jedoch bereits im ersten Kapitel vorgenommen wurde.

Man kann über dieses frühe Werk von Peter Stamm streiten. Wie in beinahe jedem seiner Werke wird hier eher nebenbei eine Geschichte erzählt. Man lernt jedoch ohne jeglichen Pathos oder sentimentale Gefühle einen Menschen kennen, wie es auch in Weit über das Land der Fall ist.

Agnes – das Fazit

Dieses Buch über einen unbekannten Erzähler und seine Freundin Agnes ist ein großartiges Buch. Zu jedem Zeitpunkt der Lektüre kann man sich ohne viel Vorstellungskraft beinahe bildlich die Welt der beiden Charaktere vorstellen. Die kräftige aber zugleich subtile Sprache zieht den Leser in seinen Bann und macht dieses Buch einzigartig.

ISBN Nummer: 978-3596179121

Sieben Jahre – Peter Stamm

Die Geschichte von Sieben Jahre

In Sieben Jahre beleuchtet der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm das Leben des Studenten und späteren Architekten Alexander. Der junge Akademiker lernt während seines Studiums in München Sonja und Iwona kennen. Diese zwei Frauen dominieren fortan auf subtile Weise sein Leben. Mit der Einen wird er ein Kind bekommen, die Andere wird er heiraten. Das biblische Thema von Jakob, welcher sieben Jahre auf Rachel warten muss, diente Peter Stamm als Inspiration für den Titel des Buches.

Peter Stamm und der Mann in der Mitte des Buches

Alexander und sein Clique um Ferdi, Rüdiger und Sonja stehen kurz vor dem Abschluss ihres Architektur-Studiums. Alle vier jungen Architekten haben große und kleine Träume. Diese handeln von der beruflichen Selbstverwirklichung, dem selbstständigen Leben und der großen Karriere  oder der Familiengründung.

Peter Stamm erzählt Sieben Jahre aus der Sicht von Alexander in der dritten Person. Dieser Stil ermöglicht gleichzeitig einen Blick in Alexanders Seelenleben und bewahrt dennoch die notwendige Distanz, welche die sachliche Erzählweise von Peter Stamm charakterisiert.

Über einen Zeitraum von deutlich mehr als sieben Jahren wird erzählt, wie Alexander vom ersten Praktikum nach dem Studium zum erfolgreichen Chef eines Architekturbüros wird. Zum Ende seines Studiums beginnt seine feste Beziehung zu seiner Kommilitonin Sonja, welche in einer Heirat mündet.

Parallel dazu besteht seine heimliche Beziehung zur sozial unverträglichen Iwona. Diese übt auf keiner greifbaren Ebene einen Reiz auf ihn aus. Dennoch ist er in den schwerelosen Momenten in ihrer Gegenwart scheinbar glücklich. Die Erzählung erfolgt überwiegend in Form eines Rückblicks im Rahmen eines Gesprächs von Alexander mit Antje, einer mütterlichen Freundin von Sonja.

Sieben Jahre – ohne sentimental zu werden

Der ganze Roman dreht sich um die innerliche Zerrissenheit eines Mannes zwischen zwei Frauen. Zu keiner Sekunde ist die Form des Romans jedoch kitschig oder auch nur annähernd rührselig. Es handelt sich hier um keine Liebesgeschichte sondern um eine Lebensgeschichte und die Beziehungen, welche dieses Leben prägen.

Die ambitionierte Kommilitonin Sonja ist die perfekte Wahl: hübsch, klug und sympathisch. Die einfache Polin Iwona scheint jedoch das Gegenteil zu sein. Sie ist gesellschaftlich nicht integriert, spricht gebrochen deutsch und hält sich illegal in Deutschland auf. Dennoch fühlt sich Alexander in Iwonas Nähe geborgen wie er es bei Sonja nie erlebt hat.

Jeder kann wahrscheinlich sich oder Menschen aus seinem Umfeld mit Charakteren aus dem Buch identifizieren. Peter Stamm mystifiziert nichts in diesem Buch. Im Gegenteil – er beschreibt eine Realität die wir alle kennen. Diese alltäglichen Probleme und menschlichen Schwächen sind eingebettet in ein Leben, welches für viele Menschen Realität ist.

Der Stamm’sche Held

Die Passivität Alexanders, welcher beinahe als Anti-Held der heutigen Gesellschaft betrachtet werden kann, erinnert beispielsweise an Thomas in Peter Stamms neuerem Werk Weit über das Land. Seine klare und nüchterne Sicht der Welt widerspricht vollkommen seinem teilweise stark irrationalem Handeln.

Peter Stamm – Weit über das Land

Zusammenfassung zum aktuellen Werk von Peter Stamm

Thomas lebt ein beschauliches Leben mit seiner Frau Astrid. Die beiden Schweizer haben ein Haus mit Garten und zwei Kinder. Eines Tages macht Thomas nach dem Abendessen einen Spaziergang und kehrt nicht zurück. Stattdessen wandert er weit über das Land. Dieser Roman von Peter Stamm schildert einerseits die Ereignisse im Leben von Thomas, welcher zu Fuß durch die Schweiz schreitet. Andererseits erfasst er die Anpassung an die neue Situation der zurückgebliebenen Astrid.

Inhalt von Weit über das Land

Eines Abends schreitet Thomas durch das Gartentor des gemeinsamen Hauses, während Astrid nach einem schreienden Kind sieht. Gerade noch haben Astrid und Thomas nach einer Urlaubsreise auf der Terrasse ein Glas Wein getrunken. Ohne dass es Thomas oder dem Leser zu diesem Zeitpunkt bewusst wäre, hat er gerade seine Familie verlassen und sein Leben aufgegeben.

Thomas schreitet durch die Schweiz, anfangs fernab von Wegen, auf welchen man ihn erkennen könnte. Mit seiner Reise verfolgt er keine bestimmte Absicht. Peter Stamms Roman fokussiert sich zu Beginn auf die Tage nach Thomas Abschied. Die ersten Nächte in der Natur und die ersten Tage im Familienleben ohne ihn. Mit Fortschreiten der Erzählung wird der Weg von Thomas nicht zur Suche nach einem neuen Leben, sondern zu seinem neuen Leben. Der Protagonist von Weit über das Land ist ein genauer Beobachter seiner Umwelt. Niemand nimmt Notiz von ihm, als er zu Fuß den Gotthard-Pass hinauf läuft, die Reaktionen seiner Mitmenschen geben ihm an mehreren Stellen des Buches viel mehr das Gefühl, dass er nichts Ungewöhnliches tut. Dies weckt wiederholt den Gedanken, dass es auch andere Leute wie ihn gibt.

In diesem Buch begleitet Peter Stamm Thomas beinahe über seine gesamte Lebenszeit, von mehrmonatigen Aufenthalten in verschneiten Berghütten bis zu Wanderschaften in Frankreich, Italien und Griechenland, vom ersten Betrug an seiner Frau bis zu ersten Beziehungen auf seiner Reise. Viele Jahrzehnte nach seinem Aufbruch kommt es nach einem Aufenthalt in Freiburg im Breisgau zu einer dramatischen Kehrtwende.

Durch Thomas Aufbruch manifestiert sich eine geistige Haltung in der Realität, welche häufig nur im Kopf eines Menschen entsteht. Das Weglaufen ohne Sinn, der über die Jahre eingetretene Verlust von Ambitionen ohne erkennbares Krankheitsbild. Die eingetretene Gleichgültigkeit eines Menschen, welcher ein Guter ist, wird durch die Reise von Thomas deutlich vermittelt.

Fazit

Peter Stamm gelingt es, die unter den gegeben Umständen nicht ungewöhnlichen Erlebnisse von Thomas in Worten zu schildern, welche den Leser mit auf seine Reise nehmen. Obwohl es zu keinem Zeitpunkt der Geschichte (außer auf den letzten zehn Seiten) spektakuläre Ereignisse gibt ist dieser Roman zu keinem Zeitpunkt eintönig. Dieses Muster ist von anderen Werken des Autors bekannt.  Zwar erfährt der Leser am Anfang viele Details, diese sind für das Verständnis der Charaktere Thomas und Astrid jedoch unabdingbar. Erzählt man von diesem Buch, so klingt es möglicherweise langweilig. Liest man es, ist es in keinem Moment langweilig.
Zu Recht wurde die englische Version des Buches „To the Back of Beyond“ im Sommer 2017 von Economist als ein Buch beschrieben, welches „Gewöhnlichkeit auf ein neues Niveau erhebt“ (“To the Back of Beyond” takes Mr Stamm’s interest in ordinariness to a new level) und vielleicht auch seine erste Liebesgeschichte ist.

Glückstage in der Hölle

Glückstage in der Hölle (Originaltitel: Things the Grandchildren Should Know) ist die Autobiografie von Mark Oliver Everett (E), dem Sänger und Gründer der Band Eels. Das bewegte und einzigartige Leben des Sohnes eines weltberühmten Physikers, welches von zahlreichen Schicksalsschlägen überschattet wurde, ist ein Loblied auf das Leben selbst.

Mark Oliver Everett steht heute mit seiner Band Eels auf den großen Bühnen der Rockbands dieser Welt. Erst im Jahr 2014 entstand eine grandiose DVD eines Konzertes in der Royal Albert Hall in London.

Inhalt

In seiner Autobiographie Glückstage in der Hölle beschreibt Mark sein Leben chronologisch. Er beginnt mit seiner Kindheit. Diese war stark von einer „laissez-faire Erziehung“ und der ständigen Beschäftigung des Vaters mit seinem Beruf geprägt. Der starke Einfluss seiner bipolaren Schwester und der damit verbundene Drogenkonsum in jungen Jahren legen die Grundsteine für sein Interesse an einer künstlerischen Betätigung. Der Tod zahlreicher ihm nahestehenden Menschen führt dazu, dass Mark sich im Laufe seines Lebens wiederholt in die Einsamkeit zurück zieht und sich über Jahre hinweg isoliert.

In diesen Zeiten sind einige Eels-Stücke entstanden, deren Bedeutung einem erst nach der Lektüre dieses Buches bewusst wird. So ist das fröhliche klingende I like Birds kein Song über Vögel, sondern eine Hommage an seine Freundin Birds. Diese war jahrelang bis zu ihrem Tod seine Nachbarin in seinem Wohnort Echo Park war. Mit dem Lied My beloved monster hat Eels auf die letzten Lebensjahre seiner Schwester Liz Bezug genommen, welche später Selbstmord beging. Schmunzeln muss man als Leser bei der Anekdote über den Song Mr. E’s Beautiful Blues. Die Vereinbarungen mit der Plattenfirma zwangen E dazu, trotz aller Gegenwehr in einem Musikvideo zur seichten Teenie Komödie Road Trip mitzuspielen. Diese bezeichnet er selbst als einen der schlimmsten Momente seiner künstlerischen Karriere.

Fazit zu Glückstage in der Hölle

Dieses Buch ist abwechslungsreich, traurig und dennoch lebensbejahend. Es ist auf keinen Fall nur für Fans der Eels geeignet. Viel eher ist es eine stark reflektierte Autobiografie eines Menschen, der ohne die geringste Geltungssucht schildert, wie ein vom Unglück verfolgter Mensch seinem Leben mit der Musik große Bedeutung geben kann. Den englischen Titel hat der eigentlich kinderlose E gewählt um aufzuzeigen, dass er noch nicht „am Ziel angekommen ist“. Demzufolge freut er sich auf sein weiteres Leben. Nach vielen Jahrzehnten geht er endlich mit einem guten und positiven Gefühl durchs Leben. Dies zeigt sich abschließend in diesem Zitat:

Life is so full of unpredictable beauty and strange surprises. Sometimes that beauty is too much for me to handle. Do you know that feeling? When something is just too beautiful? When someone says something or writes something or plays something that moves you to the point of tears, maybe even changes you.